Zürich baut einen Energieverbund mit Seewasser für die Kliniken in der Lengg, wo sich einer der grössten Spitalcluster Europas entwickelt. Der Zusammenarbeit der im Cluster ansässigen Institutionen kommt nicht nur hierbei eine ganz zentrale Bedeutung zu. (Quelle: Neue Zürcher Zeitung, 11. Mai 2022)
Im Vordergrund der Zusammenarbeit im Gesundheitscluster Lengg stehen der Wissenstransfer aus Forschung und Lehre sowie die Kooperation bei medizinischen Dienstleistungen. Aber auch die nachhaltige Bewirtschaftung der Infrastruktur: Die Institutionen des Gesundheitsclusters sollen in wenigen Jahren über einen gemeinsamen Energieverbund mit Heizwärme, Warmwasser, aber auch Kälte versorgt werden.
Das Wasser des Zürichsees mittels Wärmepumpen für die Energiegewinnung zu nutzen, ist nicht neu. Es gibt in Zürich bereits mehrere Seewasserverbunde und das Konzept soll im grossen Stil ausgeweitet werden. Es ist einer der wichtigsten Schritte hin zum Ziel, den Ausstoss von Treibhausgasen durch die Verbrennung von fossilen Energieträgern in der Stadt Zürich gegen null zu senken. Den nächsten und in seiner Art grössten Energieverbund planen jetzt die Spitäler und Kliniken in der Lengg. «Ohne enge Zusammenarbeit wäre das nicht möglich», sagt Andrea Rytz, Präsidentin des Gesundheitsclusters Lengg und Direktorin der Schulthess-Klinik im Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung.
Der Gesundheitscluster ist für Zürich auch volkswirtschaftlich von Bedeutung. Er erwirtschaftet 1,3 Milliarden Franken Umsatz, über 9’000 Personen arbeiten hier. Mit dem Umzug des Kispi steigen diese Zahlen nochmals deutlich an, andere Institutionen wollen ausbauen. Die Entwicklung bewog auch den Kanton, sich koordinierend einzubringen. Im Masterplan Lengg vom Herbst 2017 wurde die Energieversorgung auf der Basis von Seewasser empfohlen.
«Als wir uns dafür entschieden haben, sah es so aus, als müssten wir drauflegen», sagt Andrea Rytz in Interview. Angesichts der derzeit drastisch steigenden Preise für Öl und Gas sei es inzwischen aber nicht mehr nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich die optimale Lösung.
«Für uns war immer klar, dass wir mit allen Institutionen gemeinsam eine nachhaltige Energieversorgung anstreben.»
Andrea Rytz
CEO, Schulthess Klinik & Präsidentin des Gesundheitsclusters Lengg
Wirtschaftlich und klimaneutral
Gebaut wird der Verbund durch Energie 360°. Das städtische Unternehmen stellt später die bezogene Nutzenergie in Rechnung. Ende März wurde das Baugesuch eingereicht, in Zollikon. Grund: Die Seewasserzentrale mit dem Wärmetauscher wird auf dem Zolliker Areal Wässerig in das Seeufer versenkt. Sie besteht aus einem unterirdischen, über 20 Meter hohen zylinderförmigen Schacht mit einem Durchmesser von gut 15 Metern. Von hier aus wird in 25 bis über 30 Meter Tiefe das Seewasser gefasst und über eine 2 Meter dicke Röhre tief im Boden über eine beträchtliche Höhendifferenz durch den Molassefels in das Gebiet Lengg gepumpt. An den Seewasserverbund können sich auch Wohnhäuser und Siedlungen auf seinem Gemeindegebiet anschliessen. Das Projekt erlaubt es, jährlich etwa den Gegenwert von 4 Millionen Litern Öl einzusparen; das entspricht nach Auskunft von Energie 360° einer Senkung des CO2-Ausstosses um etwa 10’000 Tonnen.
Corona fördert gegenseitiges Vertrauen
Für die Schulthess-CEO Andrea Rytz kommt der Seewasserverbund nicht nur energetisch im goldrichtigen Moment. «Er macht Lust auf noch mehr Zusammenarbeit», sagt sie. Obschon die Kliniken teilweise in Konkurrenz zueinander stehen, suchen sie in den verschiedensten Bereichen die Kooperation. Wichtig sei, dass man sich regelmässig miteinander austausche, wisse, was die anderen machten, und lerne, ein blindes Vertrauen zu entwickeln, stellt Rytz fest. Das habe sich gerade in den letzten beiden Jahren bewährt, als die Spitäler während der Corona-Pandemie sehr intensiv zusammengearbeitet hätten.
Regelmässig träfen sich die Direktorinnen und Direktoren und suchten nach möglichen Synergien, sagt Rytz und nennt als Projektideen das Teilen von Büroflächen, Seminarräumen, Reinigungs- und Aufbereitungsanlagen oder eine koordinierte Anlieferung, um die Lastwagenfahrten zu reduzieren. Ein weiteres aktuelles Beispiel: Das Kispi schliesst seinen Neubau über zwei verschiedene Unterwerke an das Stromnetz an. Das ersetzt zwar ein für Spitäler unabdingbares Notstromaggregat nicht, erhöht aber die Versorgungssicherheit. Dank dem Gesundheitscluster konnten sich weitere Institutionen dieser Lösung unkompliziert anschliessen.
Verträglichkeit nicht vergessen
Die Türe von Andrea Rytz steht offen. Es ist ihr ein Anliegen, nichts im Verborgenen auszuhecken. Das wird im Quartier geschätzt, dem Wachstum der Kliniken begegnet man hier aber auch mit Skepsis. Vor den Sommerferien finden mehrere Informationsanlässe zusammen mit Vertretern des Kantons statt. In den Testplanungen seien sie als Zaungäste dabei gewesen und angehört worden, sagt Urs Frey, Präsident des Quartiervereins Riesbach.
Wichtig sei, dass der Ausbau in der Lengg auch einen Mehrwert erhalte, sagt Frey. Bis anhin sei viel von Machbarkeit gesprochen worden, es gehe aber vor allem um Verträglichkeit. Immerhin: Allfällige Differenzen zwischen Kliniken und Quartier betreffen die Oberfläche. Eine Energieversorgung im Untergrund stösst kaum auf Widerstand.
Weiterführende Informationen
Energie360° hat eine Informationswebsite zum Wärmeverbund Lengg aufgeschaltet. Sie finden dort ausführliche Informationen zum Projekt
Downloads
Artikel NZZ, 11. Mai 2022: Zürcher Klinik-Cluster heizt und kühlt künftig mit Seewasser (PDF) →